Was sind eigentlich Piwis?
„Piwi“ ist die etwas unsexy klingende Abkürzung für pilzwiderstandsfähige Rebsorte – auch nicht gerade catchy. Und wofür sind sie gut? In erster Linie helfen sie den Winzer*innen, Spritzmittel einzusparen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Wer wirklich biologisch produzierten Wein trinken will, sollte nur Piwi-Weine trinken.
Warum?
Ende des 18. Jahrhunderts wurde nicht nur die Reblaus (die weite Teile des europäischen Weinbaus zerstörte, aber das ist nochmal eine andere Geschichte), sondern auch Pilzkrankheiten wie Peronospora und Oidium (falscher und echter Mehltau) aus Amerika nach Europa eingeschleppt. Im Gegensatz zu den amerikanischen Wildreben, die diesen Krankheitserregern seit Jahrtausenden ausgesetzt waren und dementsprechend Resistenzen entwickelt hatten, waren unsere klassischen Rebsorten wie Riesling, Chardonnay oder Merlot den Pilzen schutzlos ausgeliefert. Die Wirkungen der Pilzkrankheiten sind verheerend. Ohne Pflanzenschutz (Euphemismus für Spritzmittel) können komplette Ernten ausfallen. Früher oder später wird jede Pflanze infiziert. Das bedeutet, dass Winzer*innen große Mengen Fungizide ausbringen müssen, um gesundes Lesegut zu erhalten. Das gilt auch für den Bioweinbau, wo vor allem Kupfer und Schwefel gespritzt werden. Piwis sind widerstandsfähiger gegen die Erreger – allerdings nicht vollständig resistent. Die meisten von ihnen brauchen hin und wieder auch eine Spritzung, allerdings längst nicht so viele, wie die klassischen vinifera-Sorten.
Wie entstehen Piwis?
Pilzwiderstandsfähige Rebsorten sind immer Neuzüchtungen. Meistens wird versucht, sich am Stil und der Aromatik einer bekannten europäischen Rebsorte zu orientieren. Diese werden dann mit krankheitsresistenten amerikanischen oder asiatischen Rebsorten gekreuzt. Das Ganze hört sich recht einfach an, in Wahrheit ist es ein komplizierter und sehr langwieriger Prozess. Es reicht nicht aus, einfach Chardonnay mit einer Amerikanerrebe zu kreuzen und das Produkt dann auszupflanzen: Es muss über mehrere Generationen gekreuzt werden, um der neuen Rebsorte möglichst viele verschiedene Resistenzfaktoren mit auf den Weg zu geben. Dann werden besonders robuste und vielversprechende Reben selektiert. Am Ende steht die Qualitätsselektion: Man produziert Weine aus den einzelnen Reben und guckt, wie gut sie am Ende schmecken. Dann irgendwann kann die Sorte zugelassen werden. Bis so eine neue Kreuzung den Weg in den Weinberg eines Weinguts findet, vergehen oft viele Jahre.
Und wo liegt das Problem?
Lange Zeit galten interspezifische Kreuzungen als minderwertig in der Weinqualität. Die ersten dieser Hybriden waren sehr robust, aber geschmacklich beinahe ungenießbar. Lange Zeit war ihr Anbau in weiten Teilen Europas sogar verboten. Inzwischen gibt es sensorisch vielversprechende Piwis, aus denen sich sehr gute Weine keltern lassen. Viele Weintrinker*innen greifen aber lieber zum altbekannten: Bei Grauburgunder und Sauvignon Blanc weiß man schließlich, was man hat. Was zur Hölle ist Souvignier Gris oder Sauvignac?
Inzwischen gibt es ein weiteres Problem: Die Pilze passen sich an und einige Piwis der ersten Generation sind inzwischen längst nicht mehr so resistent, wie man es gerne hätte. Gerade der weit verbreitete Regent braucht inzwischen oft ähnlich viel Pflanzenschutz wie vinifera-Sorten.
Direktträger
Die ersten Resistenzzüchtungen, zu Beginn nur mit amerikanischen Wildreben, ergaben die sogenannten Direktträger. Dieser Name lässt sich darauf zurückführen, dass die Wurzeln resistent gegen die Reblaus sind. Deshalb ist es nicht nötig, die Wurzel einer amerikanischen Wildrebe an die Pflanze zu „pfropfen“, wie es sonst bei jeder anderen Weinpflanze gemacht wird. Diese Reben wurden vor allem mit dem Ziel, der Reblaus etwas entgegenzusetzen gezüchtet, nicht wegen der Pilzkrankheiten. Die Amerikanerreben gaben ihnen einen Fox-Ton mit, ein sehr intensives, künstlich wirkendes Erdbeer-Aroma. Wer einmal probieren möchte, wie diese ersten Piwis schmecken, kann sich in Österreich mal am Uhudler versuchen. Dort gibt es eine traditionsreiche Kultur, die diese Direktträger bewahrt hat.
Sie heißen zum Beispiel Noah, Isabella, Concord, Clinton oder Delaware.
Französische Vorreiter
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man in Frankreich gezielt Reben mit dem Ziel der Pilzresistenz zu züchten. Es wurde relativ munter drauflosgezüchtet und ausgepflanzt, ohne die Anbaueignung zu kontrollieren. Die Weinqualität war dementsprechend oft nicht überragend aber der Fox-Ton immerhin verschwunden. Für einen Alltagsschoppen taugten die Weine allemal. Manche der Reben sind noch heute in alten Gärten anzutreffen. In der Schweiz und in Baden werden vereinzelt auch noch Weine aus ihnen gekeltert. Eine Rolle spielen diese Reben auch bei der Züchtung neuerer Piwis.
Beispiele sind die roten Rebsorten Oberlin noir (hier ist Gamay der Vater), Marechal Foch und Leon Millot (Daddy: Goldriesling), oder die weißen Seyval Blanc (die häufig für die Kreuzung neuerer Piwis verwendet wurde) und Siegfriedrebe (Oberlin x Riesling).
Die erste Generation der Piwis
In den 60er Jahren kam erstmals der Begriff der pilzwiderstandsfähigen Rebsorten auf. Die Resistenz gegen den Mehltau wurde etwas geringer, die Qualität etwas besser. Einige dieser Rebsorten sind inzwischen relativ verbreitet, allen voran der Regent, der von der steigenden Nachfrage nach Rotweinen des vollmundigeren, mediterranen Typs profitierte. In ihm sind interessanterweise neben allerlei Wildreben genetische Anteile der weißen Rebsorten Müller-Thurgau und Silvaner enthalten. Die Züchtung erfolgte am Geilweilerhof in der Pfalz.
Weitere Piwis dieser "ersten Generation" sind:
Phoenix (weiß, Geilweilerhof). Entsprechend ihrer Muttersorte, dem Bacchus, ergibt sie leichte, blumige Weine mit wenig Säure.
Johanniter (weiß, gezüchtet am staatlichen Weinbauinstitut Freiburg). Sensorisch geht die Weißweinsorte in Richtung Riesling, der auch die Muttersorte stellt. Johanniter ist aber meist etwas breiter und vollmundiger.
Solaris (weiß, Freiburg) kann wegen ihrer frühen Reife auch in nördlicheren Gebieten wachsen. Ihre Weine sind fruchtig, kräftig und säurebetont. In der Ahnengalerie stehen unter anderem Riesling, Grauburgunder und Seyval Blanc (siehe oben).
Merzling (weiß, Freiburg) stammt ebenfalls von Seyval Blanc, Grauburgunder und Riesling ab. Hat vor allem für die weitere Rebenzüchtung Bedeutung und wird kaum getrunken. Ich hab das noch nie getrunken. Die Qualität soll nicht so überzeugend sein, die Weine kräftig und neutral in der Aromatik
Bronner (weiß, Freiburg): ganz wie die Mama (Merzling) mehr zum Züchten als zum Trinken verwendet. Eine Kreuzung aus Merzling, einer russischen Piwi (Zarya Severa) und St. Laurent.
Rondo (rot, Geisenheim) zählt die Burgundersorte St. Laurent zu seinen Eltern. Die Sorte ergibt dunkelrote und beerige Weine.
Roesler und Rathay (rot, aus Klosterneuburg in Österreich). Sie enthalten Gene von Blaufränkisch und Zweigelt (also St. Laurent und wiederum Blaufränkisch). Die Weine sind sehr dunkel und tanninreich. Sie werden heute vor allem in Österreich angebaut.
Die zweite Generation
In den späten 80er und frühen 90er Jahren wurde die zweite Generation Piwis gezüchtet. Sie ist sowohl der vorangegangenen sowohl in Sachen Resistenz als auch Weinqualität überlegen. In der Zwischenzeit haben sich auch private Züchter um die Resistenzzüchtung verdient gemacht, allen voran der Schweizer Valentin Blattner. Zu den Sorten aus seinem Programm zählen:
Cabernet Blanc (weiß). Die derzeit wohl erfolgreichste Piwi. Ein Elternteil ist der aufgrund seiner Eigenschaften (für eine vinifera-Sorte relativ robust bei gleichzeitig hochwertigen, aromatischen Weinen) für die Resistenzzüchtung sehr gut geeignete Cabernet Sauvignon. Die Weine erinnern an den verwandten Sauvignon Blanc, zeigen aber auch die Paprika-Aromen des Cabernets.
Cabertin (rot) ebenfalls ein Abkömmling des Cabernet Sauvignon. Dessen Problem ist, dass er ziemlich spät reift. Also ist ein Zuchtziel neben der Resistenz, den Lesezeitpunkt nach vorne zu verschieben. Das ist beim Cabertin gelungen, der rund 2 Wochen vor dem Cabernet reift und trotzdem die typischen Paprika- und Cassis-Aromen liefert.
Pinotin erinnert mit seinem Kirscharomen an Spätburgunder und man ging lange Zeit auch davon aus, dass der Pinot eine Elternsorte stellt. Blattner gab allerdings an, dass auch hier Cabernet Sauvignon, Silvaner, Riesling und wilde Reben beteiligt waren.
Cabernet Jura ist inzwischen recht verbreitet in der Schweiz. Der Name verrät es: auch hier spielt Cabernet Sauvignon eine Rolle. Die Weine sind dunkel, aromatisch und haben eine leichte Muskatnote.
Cabernet Noir, inzwischen aus rechtlichen Gründen Cabaret Noir: An Cabernet Franc erinnernde, also etwas weichere Cabernet-Kreuzung aus dem Hause Blattner.
Auch in Freiburg wurde viel mit Cabernet Sauvignon gearbeitet. Piwis der zweiten Generation aus Südbaden sind:
Cabernet Cortis, Cabernet Carol & Cabernet Cantor: Mehr oder weniger ähnliche Kreuzungen aus Cabernet Sauvignon und einem Vorläufer des Solaris. Die Weine von Cortis und Carol sind kräftig und haben ein intensives Cassis-Aroma, Cabernet Carol reift rund zwei Wochen später als Cortis und beansprucht deshalb etwas bessere Lagen. Die Weine des Cabernet Cantor sind etwas milder und sensorisch irgendwo zwischen Merlot und Cabernet zu verorten.
Souvignier Gris (weiß): Wiederum ist Cabernet Sauvignon die Mama. Papa ist der Merzling (siehe oben), es sind also genetische Anteile von St. Laurent, Grauburgunder und Riesling enthalten. Die Rebe hat rosa-graue Beeren und erinnert nicht nur optisch, sondern auch sensorisch - mit etwas Gerbstoff und Säure in der Struktur und subtiler Honigmelone und Aprikose in der Aromatik - an Grauburgunder.
Donauriesling (wei´ß, gezüchtet in Klosterneuburg) ist der österreichische Versuch, eine Art widerstandsfähigen Riesling zu erschaffen. Der Riesling ist die Mutter, entferntere Verwandte sind unter anderem Grauburgunder und Gutedel.
Laurot (rot, in Mähren/Tschechien gezüchtet). Eine interessante Piwi, die sensorisch irgendwo im Universum von St. Laurent, Merlot und Blaufränkisch zu verorten ist. Die drei sind auch an der Kreuzung beteiligt. Bei einer Verkostung in der Rebschule Freytag, die diese Reben in Deutschland vertreibt, erinnerte der Wein vor allem an St. Laurent mit dunkler Schokolade und dunklen Waldbeeren. Die Struktur und das Tannin schienen mir etwas kräftiger zu sein. In der Sorte könnte Potenzial stecken, man darf gespannt sein.
Die dritte Generation
Inzwischen wird die in den 90ern gezüchtete dritte und neueste Generation angepflanzt. Hier wurde vor allem bei der Oidium-Resistenz noch einmal eine Schippe draufgelegt. Ob sich die Qualität der Weine verbessert hat, werden wir erst in ein paar Jahren feststellen können.
Calardis Blanc (weiß, Geilweilerhof) wurde als Reaktion auf den Klimawandel gezüchtet. Die Sorte soll auch bei Hitze nicht zu alkoholisch und fett werden. In der Aromatik ähnelt sie mit etwas Würze und frischer Säure dem Riesling.
Donauveltliner (weiß, Klosterneuburg). Natürlich wollen die Österreicher auch für ihre Paradesorte, dem Grünen Veltliner ein pilzwiderstandsfähiges Pendant. Eine Kreuzung aus "GV" und Seyval Blanc (siehe oben) brachte die erwünschten Ergebnisse. Im Ertrag etwas schwächer als das Vorbild, ist die Aromatik ganz gut getroffen.
Sauvignac (weiß, Valentin Blattner) war lange unter dem Zuchtnamen VB Cal 6-04 bekannt. Stammt, neben Wildreben, von Riesling und Sauvignon Blanc ab und ähnelt den beiden auch, wobei sie dem Sauvignon ein gutes Stück näher ist. Definitiv eine spannende Sorte.
VB Cal 1-15, VB Cal 1-22, VB Cal 1-28, VB Cal 1-36 (rot, Valentin Blattner). Die etwas sperrigen Zuchtnummern zeigen den Standort der gekreuzten Reben in Blattners Weinberg im Jura an. Irgendwann werden sie auch mal richtige Namen erhalten. Wer da die Eltern sind, behält der Schweizer Piwi-Papst als privater Züchter gerne für sich, es wird jedoch gemunkelt, dass da in letzter Zeit mit Sangiovese gearbeitet wurde.