Wie wird man eigentlich zum Weintrinker?
Der Einstieg verläuft meist so unbewusst wie unterschiedlich. Vielleicht schenken einem die Eltern ein Glas Rioja zum familiären Abendessen ein, vielleicht ist es ein Markenwein à la Blanchet oder ein Dornfelder auf der WG-Party im zweiten Semester. Vielen schmeckt er nicht wirklich, der erste Wein und das wäre vermutlich auch der Fall, handelte es sich um einen waschechten Cheval Blanc für 750 Euro. Je mehr man dann probiert, desto mehr "versteht" man den Wein. Man entdeckt (immer noch ganz unbewusst) Komponenten, die einem vielleicht gefallen und nimmt sie mit jedem Schluck intensiver wahr. So schnell wird man Weintrinker. Analog läuft die Entwicklung nun den ganzen Rest des Wein-Lebens ab. Mit jedem Schluck, jedem Glas und jeder Flasche bildet der Weintrinker sich fort, identifiziert (inzwischen vielleicht auch bewusst) neue Komponenten und entdeckt Parallelen und Unterschiede. Dieser Prozess lässt sich wie ein Baum, der sich immer weiter verzweigt begreifen: Zunächst schmeckt das, was man da im Glas hat, einfach nur nach Wein, vielleicht unterscheidet man noch zwischen weißem und rotem. Bald beginnt man zu differenzieren: "Schmeckt" und "schmeckt nicht" ist wohl eines der ersten verbalisierbaren Konzepte des Weinkonsums und bleibt hoffentlich ein Leben lang das wichtigste. Versucht man dem auf den Grund zu gehen und die Ursachen für das Gefallen bzw. Nichtgefallen zu begreifen, gelangt man schnell zu einfachen aber wichtigen Unterscheidungen. Häufig (vor allem bei Weißwein) spielt die Säure und ihr Verhältnis zur Süße dabei eine entscheidende Rolle. Insbesondere junge, "neue" Weintrinker bevorzugen oft etwas bekömmlichere, nicht "zu saure" Weine. Alle reden vom Riesling. Als Mitbringsel auf der Zweitsemesterparty ist er vielleicht die falsche Wahl (außer man will sich eine Schorle machen - aber das ist ein ganz anderes Thema). Beim Rotwein steht vor allem Körper und Tannin im Vordergrund. Während die einen "Weinanfänger" (oft die mit den Rioja-Eltern) finden, nur ein schwerer, tanninreicher sei ein richtiger Rotwein, verziehen die anderen beim Probieren eines solchen schockiert das Gesicht und greifen doch lieber zum kühlen Bier. Rotwein ist dann erst einmal gestorben. Leichtere, hellere Rotweine haben es häufig schwer. Den Rioja-Kindern erschließt sich deren Existenzberechtigung überhaupt nicht, die Gesichtsverzieher bevorzugen nun junge, fruchtige Weißweine. Alle reden von Spätburgunder. Auf der Zweitsemesterparty wird auch er es schwer haben. Das ist natürlich alles sehr klischeehaft gesprochen und muss im Einzelnen so nicht zutreffen. Häufig läuft es aber so oder so ähnlich ab.
Gehen wir einmal von einer jungen Weintrinkerin aus, die jetzt Lunte gerochen hat und etwas tiefer in die Materie einsteigt. Auf einer Onlineplattform hat sie gelesen, dass es Sinn macht, mehrere Weine gleichzeitig zu probieren, um Geschmäcker einordnen zu können. Sie macht sich lustig über Weinbeschreibungen im Internet, die behaupten, Aromen von Bleistiftspänen, Jod oder Sattelleder zu identifizieren und ihr mit Wörtern wie schmatzig Gänsehaut verpassen. Sie entdeckt aber gleichzeitig langsam, dass Barriqueweine sie tatsächlich ein wenig an Vanille erinnern. Und es gibt tatsächlich Weine, die unsere Newbie eher an dunkle Beeren (wie Brombeeren) erinnern, während sie bei anderen eher an Kirschen oder Himbeeren denkt. Jetzt ist sie angefixt. Bei jedem Einkauf geht sie am Weinregal vorbei und schafft es selten aus dem Laden ohne ein oder zwei Entdeckungen, die sie unbedingt probieren muss. Zunächst begeistert sie sich für kräftige Rotweine, im Sommer ist es neuseeländischer Sauvignon Blanc. Noch nie hat sie so einen intensiv-fruchtigen Wein getrunken und das auch noch für knapp 3 Euro.
Ein halbes Jahr später schaut sie mit einem Schaudern auf diese Zeit zurück. Der Sauvignon Blanc erscheint ihr jetzt klebrig, langweilig und plump. Unser Weintrinkerin steht jetzt auf Weißburgunder! Mit der Zeit sind es immer subtilere Komponenten, die einen Wein für sie interessant machen. Wollte sie am Anfang noch möglichst geballtes Tannin, Holz oder Frucht, geht es ihr inzwischen um Harmonie, das Zusammenspiel der Aromen, ums Mundgefühl und um Komplexität. Weine, die sie früher gerne getrunken hat, missfallen ihr nun und Weine, die sie früher langweilig oder schlicht "nicht lecker" fand, begeistern sie jetzt, weil sie ganz andere Facetten in ihnen entdeckt. Unsere junge Weintrinkerin wird sich noch lange weiter entwickeln und viel Freude beim "Lernen" haben. Vielleicht begeistert sie sich dann eines Tages für die Mineralität eines fränkischen Silvaners oder das feine Bittermandel-Aroma und die lebendige Säure eines Spätburgunders...