Rivetto

Zum Abschluss unserer Reise wollten wir unbedingt noch ein Weingut besuchen, dass die großen Weine des Piemonts, Barbaresco und Barolo produziert. Am liebsten natürlich biodynamisch. Ich hab mich also an den Computer gehockt und recherchiert. Ich wurde schnell enttäuscht. Anscheinend spielt Biodynamie hier noch nicht so die Rolle... Über Marco Vacca von der Cascina Albano (den wir wiederum von den Tibaldischwestern empfohlen bekamen) erhielten wir den Kontakt zu Enrico Rivetto, dem einzigen Demeter-zertifiziertem biodynamisch arbeitenden Barolo-Winzer. Das Weingut liegt direkt gegenüber vom malerischen Serralunga d'Alba, ein paar hundert Meter außerhalb der Grenze des Barolo-Gebiets. Sowohl Enrico als auch die Architektur des Gebäudes versprühen das Selbstbewusstsein von alteingesessenem Renommée. Enrico führt das 1905 gegründete Gut in der vierten Generation. Heute verteilen sich seine 15 Weinberge auf 35 Hektar. Hier ist alles etwas größer, repräsentativer, weniger an Funktionalität orientiert. Enrico ist geschäftig, telefoniert zwischendurch immer wieder und spricht mit Exporteuren. "93% unserer Weine werden exportiert", erklärt er hastig zwischen zwei Telefonaten, "leider kaum nach Deutschland".

Schaukeln with a view. Im Vordergrund der obligatorische Kompost, im Hintergrund Serralunga
Schaukeln with a view. Im Vordergrund der obligatorische Kompost, im Hintergrund Serralunga

Wo der Fokus seiner Arbeit liegt, wird schnell deutlich. Während die meisten Winzer uns bei Besuchen durch ihren Keller führen, möchte Enrico mit uns durch die Weinberge am Gut spazieren. Seit 2009 produziert er biologisch, in den letzten Jahren wurde dann auf Biodynamie umgestellt. Eigentlich ziemlich irre in einer Gegend, in der ein Hektar Rebfläche schnell mal Millionenpreise erzielen kann. Enrico erzählt, dass er für die Zertifizierung Biodiversität und die Produktion vielfältiger landwirtschaftlicher Produkte nachweisen muss. In den Weinbergen stehen verstreut Bäume, zwischendrin finden sich immer wieder "biological corridors", wie Enrico sie nennt - Schneisen, in denen Getreide, Obst, Gemüse und Kräuter angebaut werden. Eine nicht unerhebliche Fläche nimmt auch die Kompostbereitung in Anspruch. Nicht zuletzt muss Enrico Tiere halten. Er entschied sich für einige Esel und einen Schwan, Milo, der seine Kreise in einem extra angelegten Wasserbassin zieht, das dem Weingut auch als Regenwassersammelbecken dient.

Enrico führt und durch die am Weingut gelegenen Nebbiolo-Weinberge. Er beschreibt, dass jetzt die Spitzen der Trauben für einen weißgekelterten Nebbiolo-Sekt abgeschnitten werden. So erhält er zum einen die notwendige Säure und Frische für seinen Sekt, zum anderen können sich in den am Stock verbleibenden Beeren Zucker und vor allem Aromen noch stärker über die Reifephase konzentrieren. Enrico sagt, das größte Problem beim Nebbiolo sei "downy mildew", also Peronospora, mit der deutsche Winzer bei feuchtwarmer Witterung auch zu kämpfen haben. Zum Glück sei es hier oben am Weingut immer etwas windig, so dass die Stöcke schnell abtrocknen. Dennoch erspähen wir zwischendurch immer wieder die charakteristischen Ölflecken an Blättern einzelner Stöcke. Enrico versucht, den Spritzmitteleinsatz entsprechend den Demeter-Vorgaben gering zu halten. Unterstützend bringt er Pflanzenextrakte aus, aber natürlich sind die nicht ganz so effektiv wie die im Bioweinbau verwendeten Kupferpräparate.

Nachdem wir die Weinberge rund ums Weingut ausführlich erkundet und uns von Enricos Begeisterung für Biodiversität überzeugt haben - alleine in den letzten Jahren habe er 500 Bäume gepflanzt - dürfen wir endlich den Keller erkunden. Neben ein paar Stahltanks gibt großes Holz den Ton an, zum Teil slawonisch, zum Teil französisch, wie Enrico erklärt, auch ein bisschen ungarische und schweizer Eiche sei dabei. Kleines Holz verwendet er nur, weil es einfacher zu handhaben ist wenn man kleinere Mengen produziert und das Gebinde spundvoll bekommen will. Alle Barriques sind gebraucht, neues Holz verwendet Enrico ungern. Er sieht das aber alles undogmatisch. Auf die obligatorische Frage nach dem Paradigmenwechsel in der Gebindewahl im Barolo gibt er jedenfalls fast ein wenig genervt zu Protokoll "No more Barolo Boys! Die Kategorisierung in alten und neuen Stil gibt es nicht mehr..."

Das gediegene Design im Verkostungsraum passt zu den Weinen des Hauses
Das gediegene Design im Verkostungsraum passt zu den Weinen des Hauses

Biodynamisch produzierte, seriöse Weine mit Tiefgang und Länge

Das ist unser Stichwort, endlich den ansprechend gestalteten Verkostungsraum aufzusuchen, um den Stil des Hauses kennen zu lernen. Grundprinzipien der Weinbereitung sind Handlese, spontane Gärung, moderate Temperaturkontrolle und zurückhaltender Holzeinsatz.

Wir beginnen mit dem Nascetta Borea 2017 (24€), benannt nach dem örtlichen Nordwind, der ihm die Frische verleiht. Nascetta ist eine seltene, nur noch auf rund 17 Hektar produzierte autochthone Weißweinsorte der Provinz. Die Sorte ist wohl verwandt mit dem Vermentino (hier Favorita) und erbringt säurebetonte, lagerfähige Weine. Die Trauben für den Borea wachsen hier in Sinio, auf 400 Metern Höhe in Nordexposition auf  kalkhaltigem Sandboden. Nach der Lese 72 Stunden Maischestandzeit, dann temperaturkontrollierte Spontangärung bei 17°C. Ausbau über 18 Monate im Beton. Das ist glasklar, mit einer tollen, frischen Säure, Mirabelle und etwas exotischen Früchten. Das ist ein sehr schöner, blitzsauberer Wein, der Freude macht. Laut Enricos Mitarbeiterin Biljana, die zur Verkostung zu uns stößt, kann der Wein gut sechs Jahre reifen und entwickelt dann, ähnlich dem Riesling, würzige Tertiäraromen.

Mit dem Nascetta Terracotta 2018 (24€) hat Enrico auch einen Orange-Wein im Programm. Die Trauben kommen aus dem gleichen Weinberg wie für den Borea. Nach der Lese wird entrappt und dann in Amphoren für 9 Monate auf der Maische vergoren. Tja, so schmeckt das auch: Sehr deutliche Maischegärung und ordentlich Tannin, eindrucksvolle Länge.

Früher hatte Rivetto drei Barberas im Programm, d'Alba versteht sich. Inzwischen hat man auf zwei reduziert. Zunächst probieren wir den Zio Nando 2017 (22€), benannt nach einem wohl etwas exzentrischen Onkel Enricos, der den entsprechenden Weinberg in Sinio 1944 gepflanzt hat. Rund 30% der Reben von damals stehen noch und schlagen ihre Wurzeln auf rund 365 Metern Höhe in den sandig-kalkhaltigen Boden. Hier haben wir Westexposition. Der Ertrag liegt bei rund 50hl/ha, rund 6 Trauben werden pro Stock geerntet. Nach der Lese wird komplett entrappt, eingemaischt, Kaltmazeration für 2 Tage, dann über 10 Tage bei kontrollierten 30°C auf der Maische vergoren. Das ganze kommt dann für 18 Monate ins große Holz und ruht noch einmal 9 Monate auf der Flasche. In der Nase haben wir Schokolade und dunkle Beeren. Im Mund dann mehr rote Beeren, Pflaume, zwischen roter und dunklerer Frucht, mit mittlerem Körper, guter Frische und vor allem Länge. 

Der zweite Barbera ist der Loirano Soprano 2015 (31€), der ebenfalls im obersten Teil des Zio Nando-Weinbergs auf  noch etwas spannenderem Terrain wächst. Hier liegt unter einem Meter Kalk-Sand-Boden blauer Mergel, der Boden enthält viel Magnesium. Hier werden nur drei Trauben pro Stock hängen gelassen, pro Hektar ergibt das 35 Hektoliter. Auch hier wird komplett entrappt und nach zwei Tagen Maischestandzeit wird bei 30 Grad vergoren, hier aber 15 Tage. Danach geht's dann für 24 Monate ins französische Barrique (wie gesagt: gebraucht!). Im Vergleich zum Zio Nando ist das nochmal deutlich expressiver. Wir haben eine wunderschöne, intensive Kirschfrucht und sehr betörende Reifenoten von Veilchen. Ganz feines Tannin und trotz der Reife noch ordentlich Frische. Biljana sagt, man könne die beiden Barberas bis zu 15 Monate lagern. Ob's ganz so lang sein muss, weiß ich nicht. Ich find der Wein ist gerade in einem schönen Stadium. Gefühlt 8 Jahre gehen aber sicher. Ob mehr geht, müsste man ausprobieren...

Kommen wir endlich zu der Rebe, wegen der wir eigentlich hier sind. Der "einfache" Langhe Nebbiolo (17€) im Schrauber ist schon mehr als ordentlich aber verblasst natürlich etwas neben dem, was noch kommt. Das bessere ist der Feind des Guten oder so. Ich fasse mich kurz: Gewachsen zwischen Serralunga und Sinio direkt unter dem Weingut, 5% Barbera-Anteil, zwei Tage Maischestandzeit, 15 Tage Maischegärung bei 30°C, 12 Monate großes, slawonisches Holz. Das ist frische, sehr präzise herausgearbeitete Nebbiolo-Frucht mit jugendlichem Tannin. 

Der Barbaresco Marcarini 2017 (30€) ist der feingliedrige-samtige unter den Nebbioli des Hauses. Er wächst in Südostexposition in Treiso auf sandigem Mergelboden in 350 Metern Höhe. Auch hier wird komplett entrappt, dann zwei Tage Maischestandzeit und dann eine 20 Tage andauernde, etwas kühlere temperaturkontrollierte Maischegärung bei 28°C. Hier haben wir ganz feines, seidiges Tannin, die Kirschfrucht ist sehr dezent und überlagert von blumigen Akzenten. Das ist sehr smooth, velvety, wie man das von einem Barbaresco erwartet. Mir fehlen da manchmal ein bisschen die Kanten, aber das hat schon so ein bisschen was Pinot-artiges mit der zarten, blumigen Kirschfrucht. Dennoch gefällt mir der Loirano-Barbera noch ein Stückchen besser.

Deutlich mehr Power als der Barbaresco hat der Barolo Serralunga d'Alba 2016 (40€). In Serralunga wachsen die Reben auf kalkhaltigem Ton mit viel Magnesium, Calcium und Eisen in rund 300-400 Metern Höhe. In drei Durchgängen gelesen. Wie immer Maischestandzeit und dann kontrollierte Maischegärung bei 28-30°C über 20-25 Tage. 24 Monate im großen Holz. Etwas blumig im Duft, reife, dunkle Kirsche, Schokolade. Druckvoll und intensiv, mit überzeugender Länge und jetzt schon viel, aber feinem Tannin. 

Die Spitze bildet der Barolo Briccolina 2014 (100€), übrigens der erste biodynamische Barolo überhaupt. Der wächst auch in Serralunga, hier ist jedoch in rund 2 Metern Tiefe massiver Mergel. Ein halbes Hektar hat Enrico in Briccolina und produziert rund 2000 Flaschen. Drei Lesedurchgänge. Komplett entrappt, spontane Maischegärung im Holzbottich, dann 80-100 Tage auf der Maische belassen, wobei die Kerne entfernt werden, um nicht zu grobes Tannin zu extrahieren. Das ist konzentriert, betörend, aromatisch, aber vor allem: Komplex und lang. In der Nase Sauer- und Schwarzkirsche, Pflaumen, Kakao, Tabak, Gewürze. Im Mund bei aller Kraft elegant, gut zu trinken, mit deutlichem, aber extrem samtigem Tannin. Die Frucht tanzt zwischen rot und schwarz, nebenher laufen erdige und würzige Komponenten. Die Länge ist unglaublich. Der Serralunga ist ein besonderer Wein, sowas trink ich auch nicht alle Tage. Ich hätte als ich den Serralunga probiert habe nicht gedacht, dass das geht, aber der Briccolina ist nochmal eineinhalb bis zwei Klassen drüber.

Das ist ein schöner Abschluss des Wein-Teils unserer Reise. Nun geht's ans Meer. Vergleichen wir abschließend die drei besuchten Weingüter, steht Albano für würzige, strukturierte Weine mit spürbarem Holzeinsatz, Tibaldi für primärfruchtige, elegante Weine mit Trinkfluss und Rivetto für ausdrucksstarke, zum Teil wirklich große, komplexe Weine mit Länge. Die biodynamische Arbeitsweise hat keineswegs dazu geführt, dass die Weine in irgendeiner Art weniger präzise oder typisch wären.