Albano

Eine halbe Stunde zu spät erreichen wir die Cascina Albano. Der C5 raucht, nachdem wir ihn die Kurven nach Barbaresco hochgejagt haben. Dabei haben wir noch keine einzige Flasche Wein im Kofferraum. Die Aussicht von hier oben ist atemberaubend - unter einem entspannt sich die weite grüne Hügellandschaft der Langhe. Wir wagen einen Blick in die offen stehende Kelterhalle, doch es ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Also vergnügen wir uns eine Weile damit, die Tomaten und Zucchini im Garten vor dem Weingut zu bewundern. Nach gut 20 Minuten hören wir dann die Stimme einer jungen Frau, die damit beschäftigt ist, ein französisches Ehepaar kompetent herumführen.

Marta versorgt uns mit Wein und Infos
Marta versorgt uns mit Wein und Infos

Marta Vacca, Inhaberin der kompetenten Frauenstimme, ist die Schwester des jungen Winzers Marco. Sie erzählt uns, während wir nacheinander die Weine des Hauses verkosten von der Geschichte, dem Konzept und den Visionen des Weinguts, aber auch von der Geographie und der Kultur der Gegend. Wir erfahren, dass der Name des Weinguts einerseits damit zu tun hat, dass hier früher allerlei landschaftliche Produkte angebaut wurden (auch heute wachsen hier Haselnüsse), was zu der Bezeichnung Cascina in Abgrenzung zur nur Wein produzierenden Cantina führte, andererseits von alban abstammt, dem piemontesischen Wort für Sonnenaufgang. Dieser spendete einem ostexponiertem Weinberg des Guts seinen Namen - Albano. Besagter Weinberg ist in seinem Profil auch auf dem Logo der Cantina zu bewundern. 

Marta erzählt uns auch, dass auf den fünf Hektar des Weinguts seit 2018 zertifiziert biologisch gearbeitet wird, wobei schon der Großvater versuchte, möglichst natürlich vorzugehen. Die Weine werden schon immer in Einklang mit den Mondphasen abgefüllt - die jung zu trinkenden mit dem Neumond nach Ostern, die größeren mit dem abgehenden Mond im Juni. Marco, der für Weinberge und Keller zuständige Bruder von Marta wird uns später sagen, dass der biologische Anbau und die minimalinvasive Arbeit im Keller auch ganz pragmatische Gründe hat. Er sagt: "Wein ohne Chemie ist bekömmlicher, deswegen verzichten wir auf Chemie". 

Würzige, strukturierte Weine mit (oft) spürbarem Holz

Kommen wir mal langsam zu den Weinen: Den Anfang macht der Sciarmat, was so viel bedeuten soll wie "weiß und verrückt". "Weiß", weil es sich um einen blanc de blanc aus 100% Arneis handelt, "verrückt" weil es für ein Weingut in Barbaresco irgendwie bescheuert ist, zwei Schaumweine (Nummer 2 folgt gleich) und keinen Barbaresco anzubauen. Es ist ein einfacher Schaumwein - feine Perlage, leicht, frisch, ein bisschen Hefe, ein bisschen Heu. Gut geeignet um seine nicht so sektaffinen Gäste beim Aperitif nicht mit herben und hefigen Eindrücken zu überfordern aber auch neutral und trocken genug, umeventuell anwesenden Sektconaisseuren nicht den Gaumen zu verkleben. Das ist gar nicht so schlecht, muss aber nicht unbedingt mit nach Deutschland. Würde ich vor Ort leben, könnte ich mir vorstellen, für oben genanntes Szenario ein-zwei Kisten davon parat zu halten. 

Der angesprochene zweite Schaumwein des Hauses nennt sich PerSchers, eine in traditioneller Flaschengärung hergestellte Cuvée aus Arneis und Chardonnay. Ursprünglich war das die Abschlussarbeit von Winzer Marco Vacca und die produzierte Menge so gering, dass sie als Witz - im lokalen Dialekt perschers - bezeichnet wurde. Mindestens 36 Monate verbringt der witzige Schäumer auf der Hefe in der Flasche, in unserem Fall sind es sogar 50 Monde. Auch hier haben wir die neutrale Leichtigkeit des Arneis. Die Struktur ist aber im Gegensatz zum Sciarmat cremiger, die hefigen Noten sind deutlich ausgeprägter. Auf der (zurückhaltenden) fruchtigen Seite vor allem Zitrone. Überraschend ist der anhaltende Nachhall. Das alles ist zero dosage, also furztrocken, ohne Zucker. Kann man so machen, das ist ein überzeugender und etwas anderer Winzersekt, weil das klassisch-cremige des Chardonnays sich eben mit dieser frischen Leichtigkeit des Arneis paart die - aromatisch ziemlich neutral - dem ganzen eine Trinkfreude verleiht, die man bei anspruchsvolleren Schaumweinen häufig vermisst.  Davon nehmen wir auf jeden Fall ein paar Flaschen mit, weil's schmeckt, etwas außergewöhnliches ist und weil Schaumwein aus Barbaresco auch irgendwie ein bisschen cool ist. 

Unten auf den Etiketten sieht man das Logo mit dem namensgebenden Weinberg
Unten auf den Etiketten sieht man das Logo mit dem namensgebenden Weinberg

Die bunt gestalteten Etiketten sind immer wieder Thema, sie sollen ausdrücken, was die beiden beim Trinken des jeweiligen Weines fühlen und hoffentlich auch beim Konsumenten Assoziationen zum Wein schaffen. Auf dem Rückenetikett wird bewusst darauf verzichtet, Anweisungen zu Trinktemperatur oder Food-Pairing zu geben. Diese würden den Trinker nur einengen. Stattdessen werden Gedichte abgedruckt. So hat man nicht nur was zu trinken, sondern auch noch zum Nachdenken. Quasi eine Cornflakespackung für Erwachsene.

Wir kommen zum Arneis. Zwei davon hat's im Programm der Cascina - einen aus der Langhe und einem aus dem Roero. Für den Touristen sind die Landschaften leicht zu unterscheiden. Salopp gesagt: Wenns besonders schön ist, ist man wahrscheinlich in der Langhe. Im Roero gibt es mit Sicherheit auch schöne Landstriche. Der Teil den wir kennen lernen durften war allerdings geprägt von einer Schnurgeraden Landstraße mit vielen Gewerbegebieten. Ein bisschen wie die hessische Bergstraße, nur mit mehr Kreisverkehren. Die Langhe hingegen ist eine Art Auenland voller Weinberge. Eine wunderschöne grüne Weite voller Hügel auf denen mittelalterliche Dörfchen thronen. 

Marta beschreibt die Gegenden natürlich aus Sicht der Weinproduzentin ein bisschen anders: Sie klärt uns auf, dass die Hügellandschaft der Langhe älter ist, nämlich rund 5 Millionen Jahre, während der Roero gerade einmal 3 Millionen Lenze aufm Buckel hat. In der Langhe dominiert roter und weißer Lehm die Böden, während es im Roero mehr Sand gibt, helleren Lehm und Kreide. Ganz grob und beinahe tendentiös gesagt macht der Lehm der Langhe kräftigere, lagerfähigere und "größere" Weine, während auf dem Sand des Roeros duftigere, leichtere, frischere und easyer to drinkende Weine entstehen. Deswegen wird in der Langhe vor allem Rotwein und im Roero viel Weißwein produziert. 

Das ist wie gesagt sehr grob gesprochen und natürlich gibt es auch innerhalb der Regionen Unterschiede, zumal gerade in der Langhe auf den expressivsten Böden wahrscheinlich eher Nebbiolo oder Barbera als Arneis gepflanzt werden. Bei der Cascina Albano jedenfalls steht der Langhe Arneis für die konventionellere, im Stahltank ausgebaute Variante der Rebsorte. Hier in der Version von 2019. Jung zu trinken, recht neutral in der Aromatik und für italienische Verhältnisse frisch. Der Wein hat 13,5% Alkohol und ist mit der Säure recht zurückhaltend. Mit der Zeit kommen da noch ganz subtil leicht exotische Aromen von Limette und Zitronengras. Das kann ich mir gut zu einem Mittagessen im Süden vorstellen, vielleicht zur Dorade.

Das Holz steht nicht nur für die roten im Keller - auch der Roero Arneis wird im Fass ausgebaut
Das Holz steht nicht nur für die roten im Keller - auch der Roero Arneis wird im Fass ausgebaut

Der Roero Arneis ist, wie Marta sagt eine "a bit extreme definition of the DOCG". Der Wein wurde im etwas gebrauchten, ungetoasteten Eichenholz spontan vergoren (was keine Temperaturkontrolle zulässt) und ausgebaut, ist damit deutlich strukturierter, und hat mehr Nachhall. Der 2018er ist uns noch ein klein bisschen zu jung, das Holz noch deutlich schmeckbar. Marta sagt, der 17er sei jetzt (2020) perfekt, der 15er noch gut trinkbar. Das ist spannend und lädt dazu ein, sich ein paar Flaschen in den Keller zu legen und ihre Entwicklung zu beobachten.

Marco ist passioniert und experimentierfreudig, verfolgt dabei einen wissenschaftlichen Ansatz. Hier philosophiert er über Weine aus Amphoren, wie wir sie im Hintergrund sehen
Marco ist passioniert und experimentierfreudig, verfolgt dabei einen wissenschaftlichen Ansatz. Hier philosophiert er über Weine aus Amphoren, wie wir sie im Hintergrund sehen

In der Zwischenzeit gesellt sich Martas Bruder Marco zu uns, der gerade von den Weinbergen kommt, wo er die Reife der Trauben kontrolliert hat. Den Sektgrundwein wolle er in ein paar Tagen lesen. Er fragt, ob wir den Rosé probieren wollen. Ich wäge ab, schließlich gibt es eine Menge zu verkosten und sind wir ehrlich - Rosé ist immer noch häufig eine lätschig-langweilige Resteverwertung. Anscheinend steht mir dieser Gedankengang ins Gesicht geschrieben. Marco preist den Wein als "Rosé for people who don't like Rosé". Na gut. Die Farbe ist blass-rosa-orange - "Zwiebelschale", wie man so schön sagt. Angeblich, man mag es bei der Struktur, die der Wein mitbringt, kaum glauben, gibt es nur einen ganz kurzen Schalenkontakt. Die Rebsortenzusammensetzung ist geheim. Bis vor kurzem wusste nicht einmal Marta, welche Trauben für den Wein verwendet werden, weil Marco fürchtete, sie könnte sich verplappern. Leider ist Marta offenbar eine Person, der man Geheimnisse gut anvertrauen kann. Die Geschwister geben lediglich preis, dass es sich um eine oder mehrere der autochthonen Rotweinreben, also Nebbiolo, Barbera, Dolcetto und Freisa handelt. Die Idee hinter der Geheimniskrämerei: Der Versuch, zum Beispiel Nebbiolo rauszuschmecken, würde den Konsumenten unter Druck setzen. Natürlich versuchen wir angestrengt, die Rebsorten rauszuschmecken und ich spüre, wie ich unter Druck gerate. Spekulativ wie ich bin, behaupte ich: Die Struktur des Weines, die Phenolik und Säure sprechen dafür, dass hier Nebbiolo beteiligt ist. Dafür sprechen auch die roten Früchte in der Aromatik. Zusammenfassend: Das ist ein super Rosato. Spannend, mit etwas Tannin, guter Länge und erstaunlicher Komplexität. Vielleicht ist das mein Favorit heute.

Es gibt auch Rotwein. Zunächst Dolcetto, von Marta als der Einstieg ins Rotweinsortiment beschrieben. Im Stahltank ausgebaut, smooth, jung zu trinken, 2-4 Jahre könne man ihn lagern. Das Etikett einer langbeinigen Frau mit kurzem Rock soll ausdrücken "it's the start of the party". Naja. Es ist aber in der Tat sicherlich ein guter Partywein, samtig, mit 12,5% nicht zu schwer und nicht zu anstrengend im Tannin. Viel Kirsche, etwas Kompott, ein bisschen Würze. 

Die Würze beobachten wir vermehrt im Rotweinsortiment. Über einigen Weinen schwebt so ein Hauch von Sandelholz, Zimt, Nelken, Pfeffer... Vor allem beim 2016er Barbera d'Alba affignato in legno, der im Holz ausgebauten Variante des Barbera. 10 Monate war dieser Wein in neuen und bis zu vier Jahre alten, leicht getoasteten Barriques aus französischer Eiche. Das Holz kommt deutlich durch, einmal geschmacklich aber auch durch die oxidative Art des Weines. Hier haben wir wieder ein Zwetschgen- und Kirschkompott mit viel Zimtwürze. Deutlich besser gefällt mir persönlich der 2019er Barbera d'Alba aus dem Edelstahl, der lebendiger ist, über eine markantere Säure und viel mehr Frische in der Frucht verfügt. Rote Kirschen, Pflaume, ein bisschen dunkle Frucht. Wie Marco sagt: "As main quality Barbera has acidity". Die Säure ist hier auf einem schönen Level. Davon packen wir was ein!

Gerade beim Langhe Freisa, der wiederum in einer Edelstahl- und einer Holzvariante vorliegt, fallen uns die würzigen Komponenten auf. Im Gegensatz zum Barbera haben wir hier das Gefühl, dass der Wein gut noch ein bisschen Lagerung vertragen könnte. Im Gegensatz zum weiter nördlich in der Gegend bei Turin produzierten, süßlich schäumenden Himbeerdrops-Freisa sind die Weine hier in der Langhe und speziell bei Albano seriöse, trockene und durchaus tanninreiche Tropfen, die sich zum Weglegen eignen. Marco erklärt, dass Freisa ähnlich viel Tannin wie Nebbiolo haben kann, doch ist es beim Nebbiolo während des gesamten Trinkvorganges präsent, beim Freisa erst zum Ende hin. Während die Edelstahlvariante ein bisschen rauer und wilder, aber auch lebendiger und ausgeprägter in der roten Frucht ist, hinterlässt der Wein aus dem Holzfass einen abgerundeteren, molligeren Eindruck. Auch hier dominieren rote Früchte - Erdbeere, rote Kirschen, immer hinterlegt mit dieser nelkig-zimtigen Würze.

Last but not least: der 2018 Langhe Nebbiolo und mit ihm die Frage: Warum zur Hölle produziert ihr hier keinen Barbaresco? "Unser Urgroßvater hat die örtliche Genossenschaft, die Produttori del Barbaresco mitgegründet" erklärt Marta. "Dort sind wir heute noch Mitglied. Und damit die angeschlossenen Winzer nicht ihre schlechteren Qualitäten abliefern, gibt es dort den Grundsatz, dass alle Barbaresco-Trauben abgegeben werden müssen und wir keinen eigenen Barbaresco produzieren dürfen". Dann eben Langhe Nebbiolo. Der wird zum Teil unentrappt im Stahltank vergoren und kommt dann noch ein halbes Jahr ins große Fass aus slawonischer Eiche. Die Frische soll bewahrt werden. Das gelingt, die Säure ist spürbar, der Wein lebendig. In der Nase Kirsche, im Mund zunächst einmal Tannin, dann Kirsche, Nelke und hinten raus dunkle pure Lakritze. Schöne Länge! Der Nebbiolo ist schon so jung ganz gut zu trinken, sicherlich noch kantiger und rauer aber eben auch frischer und fruchtiger. Wie er in 10-15 Jahren schmeckt, muss sich noch zeigen. Wir erstatten Bericht!