Hanno Rothweiler - Hessische Bergstraße

Zu Besuch bei einem Wein-Verrückten

Ursprünglich wollte ich nur etwas über den Zinfandel (aus Italien als Primitivo bekannt) an der Bergstraße erfahren, doch schnell wurde klar, dass dieser Besuch sehr viel mehr bereit hält: Hanno Rothweiler führt das Weingut eines positiv verrückten Weinenthusiasten. Auf knapp 6,5 Hektar pflegt er eine schier unglaubliche Vielfalt von Rebsorten: Neben Klassikern wie Riesling, Grauburgunder, Weißburgunder, Muskateller, Gewürztraminer, St. Laurent, Spätburgunder und Dornfelder wachsen auf Rothweilers Hängen die Franzosen Chardonnay, Merlot, Cabernet Sauvignon und Syrah, sowie Exoten wie Auxerrois, Dakapo, Ehrenfelser, besagter Zinfandel (Primitivo) und Roter Riesling. Das Limit scheint noch nicht erreicht, so soll nächstes Jahr auf unter anderem Cabernet Blanc gepflanzt werden. Die Vorfreude auf die "geile Rebsorte" ist dem Winzermeister anzusehen. Es ist, als hätte sich ein Kind seinen großen Traum verwirklicht und sich eine Süßigkeitenfabrik gebaut. Ganz nach dem Motto: Wein ist zu spannend, um nur Riesling zu machen. Letzterer macht an der kleinen hessischen Bergstraße rund 40 bis 50% aus. Dabei lädt das etwas in Vergessenheit geratene Anbaugebiet geradezu zur Vielfalt ein: Kleinteilig und zerklüftet sind die Weinberge, die sich, meist in West- oder Südwestexposition, am Rande des Odenwaldes zwischen Heppenheim und Darmstadt aufreihen. Es finden sich so gut wie alle denkbaren Bodenformationen und die Reben stehen in unterschiedlichen Höhen und Ausrichtungen. Das Klima des Rheingrabens ist bekanntermaßen warm, so dass sich auch hier Rebsorten wohlfühlen, die eigentlich aus südlicheren Gefilden stammen. 

Wir besichtigen zunächst das kleine Weingut in Auerbach und sprechen über das Grundlegende: Rund 65 000 Flaschen produziert Rothweiler im Jahr, der Großteil der Trauben, gut 90%, werden per Hand gelesen. Die Maischegärung der roten findet in offenen Bottichen statt, ohne jede Maischeerhitzung. Statt zu filtrieren setzt der Winzer lieber auf Sedimentation. So weit, so gut. Wir nehmen eine erste Fassprobe, einen St. Laurent, der die Reife im Holzfass schon abgeschlossen hat, und sind positiv überrascht: würzige Nase trifft auf einen vollen Körper und dunkle Frucht. Das ganze bleibt dabei weich, harmonisch und endet mit einem schönen Nachhall. Not bad! Ein Wein, der sowohl Anfängern, als auch geübtere Rotweintrinker überzeugen kann. Das hat nichts zu tun, mit den dünnen, säuerlichen oder mit Tannin aufgeboosten Rotweinen, die manch einer bei kleineren (und auch größeren) Weingütern in Deutschland erwartet. Der Winzer dazu: "Ich will Rotwein, keine roten Weine." Das lassen wir mal so stehen. Rothweiler schickt alle Rotweine und einen kleinen Teil der Weißweine ins Holzfass bzw. Barrique. Dabei bevorzugt er kanadische Eiche, die er als "ein bisschen schärfer" als die amerikanische beschreibt. Der Einfluss des Holzes soll in geordneten Bahnen gehalten werden. Seinen Primitivo beispielsweise füllt er zu gleichen Teilen in Fässer erster, zweiter und dritter Belegung ab. 

Wir beginnen zu verkosten und starten mit der ersten Rarität: Der Rote Riesling 2016. Die Rebsorte gilt vielen als der Urahn des heute verbreiteten weißen Riesling. Meist werden die Eigenschaften der beiden als nahezu identisch beschrieben, die rote Variante sei höchstens einen Ticken phenolischer oder in der Lage, ein etwas höheres Mostgewicht zu erzielen. Der Winzer widerspricht: Der rote Riesling habe "eine andere Aromatik", sei "ein ganz anderer Wein". Rothweiler beschreibt ihn als kräftiger, körperreicher, fetter und stabiler. Dabei habe er sogar meistens noch etwas mehr Säure als der Riesling. Um es auf den Punkt zu bringen: Die ganz schlanken, vertikalen Tropfen liefert sie nicht, die rote Variante. Wir probieren, und in der Tat, die Aromatik ist nicht unbedingt Riesling-typisch: Im Duft leicht gelbfruchtig und im ersten Moment etwas Heu. Im Mund zunächst eine total klare Säure, dann etwas Schmelz und gegen Ende gelbe Früchte. Ganz leicht herber Nachhall. Zitrus, Mirabelle. Ein interessanter Wein und eine erneute Aufforderung, endlich mal eine Verkostung zum Thema weißer vs. roter Riesling durchzuführen!

Die Beeren des Roten Rieslings beginnen, sich zu verfärben
Die Beeren des Roten Rieslings beginnen, sich zu verfärben

Kommen wir zu besagtem Primitivo / Zinfandel: Markus Amann, ein befreundeter Winzer aus dem benachbarten Alsbach, baut diese vor allem aus Italien bekannte Rebsorte "mit großer Liebe und Hingabe" (Zitat Rothweiler) an. Der Winzermeister hat einige Erfahrungen in der Schweiz und im italienischen Piemont gesammelt, bevor er an die Bergstraße zurückgekehrte. Beim Besuch der Rebanlagen im Auerbacher Fürstenlager lernen wir einen akribisch arbeitenden Fachmann mit Blick fürs Detail kennen. Amann klärt uns über die Parzelle auf: Die Reben stehen in süd-südwest-Ausrichtung auf einem Boden mit der seltenen Eigenschaft, trotz rund 40 Grad Hangneigung über eine extrem tiefe Lössauflage zur verfügen. Die Rebsorte wurde früher als Blauer Scheuchner an der hessischen und der badischen Bergstraße angebaut. Nach der Jahrtausendwende fand man alte Reben und entdeckte, dass sie genetisch mit dem italienischen Primitivo bzw. dem kalifornischen Zinfandel identisch waren. Nun bemühen sich einige Winzer, die historische Rebsorte bei uns wieder zu kultivieren. Amann übernahm die verwahrloste Anlage 2012 und bestockte einen Großteil neu. Dafür verwendete er Klone aus Apulien, dem Absatz des italienischen Stiefels. Wie diese sich im Vergleich zu den hier selektionierten Klonen verhalten, wird die Zeit zeigen. Die Rebsorte ist keineswegs einfach in der Handhabung. Sie neigt zu sehr hohen Erträgen und liefert ohne entsprechende Ertragsreduzierung dünne Weine mit wenig Aroma und recht viel Alkohol. Bei Regenfällen platzen die Beeren schnell auf und sind so anfällig für Fäulnis. Ohne "grüne Lese" läuft also gar nichts. Mindestens die Spitzen und die Schultern der Trauben müssen dran glauben und landen vor ihrer Reife auf dem Boden. Das Resultat verkosten wir erneut als Fassprobe: Im Bouquet enorm würzig, mit deutlichem Sandelholz- und Zimtaroma. Zunächst noch etwas verschlossen, präsentiert sich der Wein mit mittlerem Körper, leichter Frucht und einem würzigen Finish. Filigraner und saftiger als die dunklen Wummen aus Apulien. Mit mehr Luft wird der Wein immer zugänglicher und dichter und vereint sich schön mit den würzigen Holznoten, die über allem schweben. Der anhaltende Nachhall macht Lust auf mehr. Den 2016er Jahrgang gibt es ab Dezember 2017 passend zur Weihnachtszeit.

Nächstes Probeobjekt ist ein 2015er Syrah. Die Rebsorte ist eine besondere Herzensangelegenheit unseres Gastgebers, er war der erste, der sie in Hessen anpflanzte und über den Versuchsanbau ihre Zulassung ermöglichte. "Ich bin absoluter Syrah-Fan" sagt Rothweiler und die Begeisterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Reben wachsen auf sehr tiefgründigen Granitverwitterungsboden. Wer wissen möchte, wie Syrah und Granit sich vertragen, kann ja mal an der nördlichen Rhône, am Hermitage, nachfragen. Genug der Vorschusslorbeeren, wie schmeckt der Wein? Auch hier ist mit andauernder Luftexposition eine deutliche Veränderung bemerkbar und das keinesfalls zum Nachteil des Weines: Wiederum eine würzige Nase, allerdings ist die Würze etwas subtiler und diversifizierter als beim Zinfandel. Im Mund zeigt sich der Wein voll und dicht, mit schönen Brombeer- und Cassisnoten. Der Holzeinsatz ist gut dosiert. Insgesamt ist das alles etwas kompakter, ein warmer, vollmundiger Rotwein mit anregendem Tannin.

Zum Abschluss verkosten wir den 2015er Dakapo. Diese Rebsorte ist so unbekannt und selten, dass der Wein im Gault Millau fälschlicherweise als Cuvée ausgewiesen wird. Rothweiler hält sie (wie übrigens auch den Dornfelder) für unterschätzt: Die "skurrile Mischung aus Portugieser & Deckrot" liefert tiefdunkle, tanninreiche und lagerfähige Weine, wird jedoch so gut wie nie reinsortig ausgebaut, sondern landet meist als kleiner Anteil in anderen Rotweinen, um diesen Farbe zu verleihen. Der Wein ist kräftig, dabei durchaus kantig und etwas rauer als die zuvor probierten. Wiederum harmonisiert sich der Eindruck mit der Zeit etwas: Säure und Tannin vereinen sich mit Brombeere und Cassis und etwas karamelliger Fruchtsüße. Dazu ein Hauch Holz. Das ist nicht schlecht und hat Potenzial - man darf gespannt sein, wie sich dieser Wein entwickelt.

Deutlich später als geplant verlassen wir das Weingut - nicht ohne einen Haufen Probeflaschen mitzunehmen. Es ist das Ende eines Besuches, der ganz im Zeichen der Leidenschaft für den Wein steht. Mit Hanno Rothweiler kann man als Wein-Nerd stundenlang diskutieren und man sieht, wie stolz er ist, sich auf seinen sechseinhalb Hektar einen Traum verwirklicht zu haben, der in vielen von uns schlummert.