Für unseren letzten Stopp verlassen wir Tierra de Barros und fahren durch die grüner werdende, leicht hügelige Landschaft in Richtung Nordosten in die Ribera Alta. Wir passieren Storchennester und Schilder, die uns vor kreuzenden Luchsen warnen. Kurz vor Oliva de Mérida, einer kleinen Ortschaft nördlich der Sierra Grande de Hornachos, führt eine Abfahrt zu einem ganz besonderen Weingut mitten im Nirgendwo: Pago los Balancines. Eine Gruppe Weinbegeisterter hat diese Bodega 2006 mit viel Aufwand erbaut und dabei offensichtlich weder Kosten noch Mühen gescheut. Dem Besucher wird deutlich gemacht, dass hier richtig Geld investiert und auf jedes Detail geachtet wurde. Es scheint, als wolle man sich bewusst von den eher einfach gestalteten Bodegas und dem typischen Laissez-faire der Region absetzen. Alles, vom Aufbau der Bodega über die Gestaltung der Etiketten bis zur Stilistik der Weine, setzt sich deutlich von allem ab, was wir bisher in der Extremadura gesehen haben.
Uns empfängt Juan Domínguez Amaro, der junge und sympathische Önologe der Bodega. Er stammt aus Madrid, hat in Logroño, der Hauptstadt der Rioja, und Madrid studiert und ist nun Teil dieses ambitionierten Projekts. Er erklärt uns, dass alle Rotweinreben auf dem riesigen Gelände rund um das moderne Gebäude mit den zwei Wasserbassins (die übrigens den darunter gelegenen Barriquekeller kühlen) wachsen. Der Boden ist hier steiniger als in der Tierra de Barros: "Das erschwert uns natürlich die Handarbeit. Andererseits regulieren die Steine die Temperatur, das kommt der Qualität zugute". Rund zwei Meter unter der Oberfläche befindet sich eine Schicht Kaolin, ein weißes Tongestein, dass den Flüssigkeitshaushalt der Reben unterstützt und dem Wein seine für die Region ungewöhnliche Mineralik verleiht. Die Lage der Bodega zwischen zwei Bergketten tut ihr Übriges: Es entsteht ein Luftkanal, der ebenfalls zu einem Temperaturausgleich und somit für Frucht im Wein sorgt und außerdem die Pflanzen bei Bedarf schnell abtrocknet und so vor Pilzkrankheiten schützt. Auch die Olivenbäume auf dem Gelände fangen Krankheiten und Schädlinge ab. Die Bodega arbeitet ökologisch und komplett ohne Bewässerung, die Reben wachsen, wie bei den meisten Bodegas der Extremadura "en vaso", freistehend ohne Drahtrahmen. Die niedrige Wuchsform ist nicht maschinell zu bearbeiten: jeder Arbeitsschritt, auch die Lese, muss per Hand durchgeführt werden. Der Ertrag liegt bei gerade einmal 2 000 Kilo pro Hektar. Zum Vergleich: Erlaubt sind in der Ribera del Guadiana 10 000 kg/ha.
Das Rebsortenprofil macht deutlich, dass Pago los Balancines sich nicht regional, sondern international orientiert: Neben den weißen Chardonnay und Sauvignon Blanc werden mit Cabernet Sauvignon, Syrah, Petit Verdot, Garnacha Tintorera und Graciano nicht gerade autochthone Reben der Extremadura angebaut. Auch die weitgehend unbekannte, eigentlich in der D.O. Arribes kultivierte Rotweinrebe Bruñal wächst hier. Das Herzstück sind Parzellen, die mit über 40 Jahre alten Tinta Roriz-Reben bestockt sind. "Tinta Roriz ist die Portugiesische Spielart des Tempranillo. Sie ähnelt diesem, ist aber besser an das heiße Klima hier angepasst", erklärt uns Juan. Dann doziert er über eine andere wichtige Rebsorte der Bodega: "Den Garnacha, den ihr aus Nordspanien, aus Frankreich als Grenache oder aus Sardinien als Cannonau kennt, nennen wir Garnacha común. Das ist die hellere, fruchtige Sorte mit wenig Tannin. Wir pflanzen hier nur Garnacha tintorera an, die nichts anderes ist als Alicante Bouschet. Die wurde früher zum Färben der Weine verwendet und gehört zu den wenigen Rebsorten, die ein rot gefärbtes Fruchtfleisch haben. Ihre Weine sind nicht nur dunkler, sondern voluminöser, dichter und wuchtiger als die des Garnacha común". Womit wir bei der Stilistik der Bodega angelangt wären: Pago los Balancines kümmert sich wenig um die Tradition der Weine in der Ribera del Guadiana und den südspanischen Markt, der süffige Sommerweine bevorzugt. Hier werden Weine vom international gefragten Typus erzeugt: Dunkel, konzentriert und schwer, größtenteils mit Holzfassausbau. Dabei wird mit modernsten Maßnahmen versucht, Frucht und Samtigkeit zu bewahren und die Weine trotz hoher Alkoholgrade angenehm trinkbar zu machen. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, die Temperaturen ab dem Zeitpunkt der Lese möglichst niedrig zu halten. Diese findet deshalb in der Nacht statt und ist meistens zu einer Uhrzeit beendet, zu der in Deutschland die Lesemannschaften in die Weinberge aufbrechen.
Die Parzellen werden einzeln abgelesen, die Trauben in Kühlkammern zwischengelagert, beim Entrappen selektiert und in gekühlte, doppelwandige Tanks gefüllt. "Nuestro tesoro es la uva" ("unser Schatz ist die Traube") stellt Juan fest. Deswegen versucht die Bodega, mit möglichst wenig maschinellem Druck und Schönungsmitteln zu arbeiten, um möglichst viel Aroma im Wein zu erhalten. Die pneumatischen Pressen arbeiten sehr schonend und extrahieren nur rund 65% des vorhandenen Saftes. Bis zum letzten Schritt, dem Blending, bleiben die einzelnen Parzellen unter sich. Dabei sind die Önologen sehr experimentierfreudig und versuchen sich an neuem, wie beispielsweise der in Spanien noch recht wenig verbreiteten Spontanvergärung. Für solche Zwecke stehen Tauchkühler bereit, sodass auch kleinere Mengen, die keinen ganzen Tank ausfüllen würden, unter kontrollierter Temperatur verarbeitet werden können. Für den Ausbau stehen im eindrucksvollen Barriquekeller insgesamt 21 verschiedene Arten von Barriques bereit, sodass der Wein jeder Parzelle im optimal zu ihm passenden Fass reifen kann. Ganz am Ende des Produktionsvorgangs steht das Blending, das die drei Önologen der Bodega stets gemeinsam vornehmen. Das Ergebnis ist eine interessante Produktpalette mit relativ weiter Preisspanne und einem gemeinsamen Nenner: leichte, süffige Weine sucht man hier vergebens!
Das Basissegment beginnt vor Ort bei rund fünf Euro (hierzulande ca. acht Euro) und setzt sich aus den beiden Linien Crash und Balancines zusammen. Crash soll mit seinem bunten Pop-Art Design ein junges, urbanes Publikum ansprechen. "Es ist trotzdem ein seriöser, dunkler Wein" versichert Juan in Bezug auf den Crash tinto, einer fruchtigen Cuvée aus Garnacha Tintorera, Syrah und Tempranillo bzw. Tinta Roriz. Immerhin 14,5% Alkohol stützen seine Aussage. Der Balancines Blanco sobre lias ist eine Weißweincuvée aus Chardonnay und Sauvignon Blanc, die im sur lie-Verfahren hergestellt wurde. Dabei reift der Wein nach der Gärung einige Zeit (hier sechs Monate) auf der Feinhefe, was ihn geschmeidiger und runder werden lässt, sowie zu mehr Körper und Komplexität verhilft. Balancines Gold ist der Name des einzigen Rotweins der Bodega, der komplett ohne Holzfass auskommt. Es handelt sich um eine Cuvée aus Garnacha Tintorera und ganzen sechs anderen Rebsorten, die in Zementtanks verarbeitet werden. Das verleiht dem Wein trotz 15% Alkohol eine kühlere, fruchtige und frische Aromatik mit mittlerem Körper und Nachhall. Der dritte Wein der Linie ist der vollmundigere Balancines Punto Rojo. Er setzt sich aus Tinta Roriz, Garnacha Tintorera und Syrah zusammen und verbringt rund drei Monate auf einmal gebrauchten Fässern aus amerikanischer und französischer Eiche. Ziel ist es, möglichst viel Frucht zu bewahren und den Wein durch den Holzfassausbau geschmeidiger zu machen.
Die Huno-Linie bildet im Portfolio der anspruchsvollen Bodega zwar das mittlere Segment, ist aber in mehrerer Hinsicht weit vom Durchschnitt entfernt. Beginnen wir mit dem Huno White, einem reinsortigen Chardonnay, der drei Monate in neuen Barriques verbracht hat. Für den Wein wird nur der Vorlaufmost, der hochwertige Saft zu Beginn des Pressvorgangs genutzt. Er durchläuft eine malolaktische Gärung, bevor er ins Holzfass abgefüllt wird. Der Wein ist außergewöhnlich voluminös, das Holz sehr präsent, aber gut eingebunden. Die Fruchtaromatik hält sich etwas bedeckt und offenbart sich subtil in Form von Orangen- und Pfirsicharomen. Dazu gesellen sich würzige und herbe, zum Teil alkoholische Noten. Es handelt sich um einen Meditationswein, kein Bisschen easy to drink, sondern etwas zum entdecken, zu trinken wie ein reifer Rotwein. Dementsprechend empfiehlt Juan, den Chardonnay nicht zu kühl zu trinken: “bei um die 14 Grad präsentiert sich die Aromatik am besten“. Den zweiten Wein der Linie, den Huno Blend bezeichnet Juan als "Vorzeigeobjekt der Bodega". In der Tat, die Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Graciano, Garnacha Tintorera, Tempranillo/Tinta Roriz und Syrah ist gelungen. Wir probieren den 2014er, der sich, so Juan, gerade "auf seinem Höhepunkt" befindet. Er verströmt einen intensiven Duft, der unverzüglich Assoziationen zu einem Waldspaziergang weckt. Da ist etwas würziges, wildes, gepaart mit Preisel-, Blau- und Brombeeren. Die 12 Monate auf französischer Eiche machen sich bemerkbar, ohne die Beerenfrucht zu übertünchen. Den Mund kleidet der Wein samtig aus, er zeigt sich vollmundig, mit vollem Körper, etwas Tannin und Säure, offenbart gegen Ende Aromen von dunkler Schokolade und endet mit einem intensiven, anhaltenden Nachhall. Es ist wiederum ein spezieller Wein, vielschichtig und trotz der 15% Alkohol angenehm zu trinken. Vor Ort kostet die Flasche rund zehn, in Deutschland ca. 14 Euro. Das ist nicht wenig Geld, derartige Weine werden anderswo jedoch für ein Vielfaches gehandelt.
Auf dem großen Gelände der Bodega wird nicht nur Weinbau betrieben. Man hat sich auch der Zucht einer alten spanischen Schäferhundrasse, dem Mastín Español (oder: Mastín Extremeño), verschrieben. Die Hunde scheinen zu den Weinen von Pago de Balancines wie die Faust aufs Auge zu passen: Es sind große, schwere, außergewöhnliche Tiere voller Kraft, die sich bei unserem Besuch sanftmütig im Schatten ausruhen. Wenn es der Jahrgang hergibt und der Wein einer Rebsorte besonders herausragt, wird eine kleine Menge abgefüllt und das Etikett mit dem Bild eines der Mastines der Bodega versehen. Im Jahr 2015 wurden 6500 Flaschen Garnacha Tintorera reinsortig unter dem Namen Mastines abgefüllt. Wir sind gespannt, ob wir dieses Jahr wieder einen der gewaltigen Vierbeiner auf einer Weinflasche zu sehen bekommen...
Mit ein paar Flaschen Huno im Gepäck verabschieden wir uns von Juan, dem Pago und der Extremadura, um vor unserem Abflug etwas aufzusuchen, was diese so vielfältige Region nicht zu bieten hat: einen Strand am Meer...